Grünau

Einer der ersten sommerlichen Tage in Berlin in diesem Jahr. Ganz bewusst fahre ich erst gegen Abend raus nach Grünau. Kurz überlege ich, vielleicht heute den Falkenberg nebenan in Bohnsdorf zu erklimmen, aber mich zieht es ans Wasser. 

Die Dahme zieht sich von Brandenburg, dem Dahmeland, von Süden kommend bis nach Köpenick hinein und mündet dort in die Spree. An ihren breiteren Stellen bildet sie Seen, die mit so kreativen Namen wie Langer See getauft wurden.

Da weiß man wenigstens woran man ist, denn lang zieht er sich am Ufer von Grünau. 

“Das ist doch ideal für eine Regattabahn!”, dachten sich die Binnensegler vor gut 150 Jahren und veranstalteten fast auf den heutigen Tag genau, am 07. Juni 1868, dort die erste Berliner Segelregatta. Den Jachten folgten die Ruderboote und Kajaks. Den Sportlern die Zuschauer. Den Zuschauern die Vergnügungslokale. Ein Sportdenkmal zu Ehren des deutschen Wassersports wurde 1901 errichtet, zu DDR-Zeiten abgerissen. Fragmente davon sind heute im Grünauer Wassersportmuseum zu besichtigen. Zu manchen Wettbewerben tümmelten sich 50.000 Fans, manche davon durften auf der inzwischen errichteten Tribüne Platz nehmen. Zuerst gab es Raum für gut 1000 Menschen, zu den Olympischen Spielen 1936 wurde auf 9000 Sitze erweitert.

Badestelle Bammelecke

Erstmal bin auch ich heute Zuschauerin, denn eine Jolle treibt kieloben nah am Ufer auf dem Wasser. Offenbar steckt der Mast im Morast, denn die Rettungsaktion dauert an. Selbst am Abend sind die Buchten nahe der Badestelle mit dem schönen Namen Bammelecke noch gut besucht. Aber ich finde eine ruhige Stelle und steige ins Wasser zum ersten ausführlichen Anbaden der Saison. Mandarinenten schauen vorbei, Küken der Stockenten sind alleine unterwegs und werden später von den Eltern wieder eingesammelt. Mein Blick geht aufs Wasser, hinter mir zwitschert, klopft und raschelt es im Wald. 

Verfallen & Kaputtsaniert

Als ich mich langsam wieder in Richtung der S-Bahn-Station Grünau bewege, ist es ganz ruhig geworden auf den Wegen. Das Abendlicht unterstreicht das Morbide der verlassenen, einmal so prächtigen Bauten entlang der Regattastraße. Sie stehen unter Denkmalschutz, aber sind dem Verfall und dem zerstörerischen Zugriff der Menschen ausgeliefert. Darunter das Funkhaus Grünau, um 1930 aus Backsteinen errichtet. Die Villa war erst Sporthaus einer Bank, wurde zum Kriegslazarett, neben der Nutzung durch den Rundfunk der DDR auch Probenraum des Deutschen Fernsehballetts. Seit ein paar Jahren lässt sich kein neuer Eigentümer finden, denn wegen der Lage muss es eine wassersportliche Nutzung erfüllen.

Die Stasi sass im Bürgerhaus

Einen kurzen Abstecher mache ich in eine Seitenstraße, in der hinter Bäumen versteckt das ehemalige Wohnhaus des Schriftstellers Stefan Heym liegt. Wegen seines Engagements als Bürgerrechtler wurde er Ender der 70er-Jahre aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen und stand unter Beobachtung. Nur ein kleines Stück entfernt hatte sich die Staatssicherheit im Bürgerhaus in der Regattastraße 141 eingerichtet. Nach dem Fall der Mauer wurde die Villa von Bewohnern liebevoll instand gesetzt, ein Verein gegründet und bis 2018 zum lebendigen kulturellen Zentrum gemacht. Bei der Eröffnungsveranstaltung im April 1990 hielt Stefan Heym vor vollem Haus eine Lesung, die als Film festgehalten wurde. Der Verein musste nach der Kündigung 2018 in das Haus Wassersportallee 34 umziehen. Dort gibt es auch ein Café, dessen Einkünfte seine Arbeit unterstützen.

Auf der Strecke zwischen dem Abzweig zum Wohnhaus von Stefan Heym bis zur Kreuzung von Regattastraße und Wassersportallee schwankt meine Stimmung mit den unterschiedlichen Anblicken. Hier die Überreste des Riviera, das trotz des Einsatzes einer Bürgerinitiative brutal kaputtsaniert und in exklusive Seniorenresidenzen verwandelt wird. Dort das von Schwalben umschwirrte alte Forsthaus Grünau. Gegenüber liegt im Sanierungsschlaf die Regattatribüne. Ein Stückchen weiter ein zum Wohnhaus umgebautes Gehöft. Daneben das im Jugendstil gehaltene Café Liebig, dessen Website die Eröffnung im April verspricht. Aber nun tragen die Palmen auf der Terrasse Preisschilder. Eine Tafel lehnt im Hintergrund. Auf ihr steht: “Wir müssen schließen! Danke für Ihre Treue!”.

Beim überübernächsten Besuch in Grünau ist hoffentlich das Wassersportmuseum wieder geöffnet, dafür hat sein Gründer stark gekämpft, in Planung ist es für das Jahr 2022. Und bevor es in die S-Bahn geht wird ein Stopp im Café des BürgerZentrums eingelegt. Achtung: Nur unter der Woche bis 18 Uhr möglich. Aber es gibt Bier vom Fass!