Stolpersteine in Berlin & anderswo

Ein weiterer Recherchetext im Rahmen des Lehrgangs auf dem Weg zum “Zertifikat für Gästeführer”. Und ganz großen Dank an die fantastische Podcast-Reihe 75 Jahre Kriegsende von Kulturprojekte Berlin, die mir den Hinweis für folgende Geschichte gab.

Fünf der fast 9000 bisher in Berlin verlegten Stolpersteine finden sich auf dem Alexanderplatz. Dieser Standort war eine Besonderheit, als der Künstler Gunter Demnig die Steine im Frühjahr 2016 im Pflaster vor der Filiale einer Kaffeehauskette im Alexanderhaus befestigte. Gewohnt wurde in dem Bürohaus mit Gastronomie im Erdgeschoss auch zwischen 1933 und 1945 nicht. Dazu später mehr.

Doch was hat es mit den Stolpersteinen überhaupt auf sich

Im Rahmen des im Jahr 1992 gestarteten Projekts wird in teilweise mühevollen Recherchen die letzte frei gewählte Wohnadresse der Opfer von Verfolgung während der NS-Zeit ermittelt, um ihrer dort mit einem der messingbedeckten Steine zu gedenken. Wenn an ganze Opfergruppen erinnert wird, werden auch Stolperschwellen verlegt, wie in Berlin-Friedenau vor einem ehemaligen jüdischen Betraum.

Hervorgegangen sind die Stolpersteine aus einem anderen Projekt von Gunter Demnig: In Köln zeichnete er 1990 in einer Kunstaktion die Wege der aus der Stadt deportierten Sinti und Roma nach. Diese Sammelaktion, bekannt unter dem Namen Auschwitz-Erlass, gilt als “Generalprobe” der Nazis für die folgenden Deportationen von Juden und anderen Verfolgten. Als Teil dieser Kunstaktion setzte Gunter Demnig vor dem Rathaus von Köln den ersten “inoffiziellen” Stolperstein mit einer Inschrift, die den Befehl Heinrich Himmlers für die Deportationen thematisiert.

Stolpersteine gelten als größtes dezentrales Holocaust-Mahnmal

Ende Dezember 2019 verlegte Demnig den 75-tausendsten Stolperstein weltweit. In rund 25 europäischen Ländern sind sie zu finden. Eine Stolperschwelle wurde vor wenigen Jahren vor einer Schule in Buenos Aires installiert, die dort 1934 als Reaktion auf den Einfluss der NSDAP-Auslandsorganisation auf das argentinische Schulwesen gegründet wurde. An der Pestalozzi-Schule arbeiteten viele Pädagogen, die aus Deutschland emigriert waren und unterrichteten sowohl Kinder, die in Argentinien geboren als auch solche, die nach 1933 in das Land gekommen waren. Mit der von Demnig gestalteten Schwelle wird das Engagement der Menschen geehrt, die mit dieser Schule eine Zufluchtsstätte schufen.

Jederzeit sind die Stolpersteine zugänglich und meistens an öffentlichen Orten

Meistens an öffentlichen Orten, das gilt allerdings nicht für die Stadt München, wo seit Jahren die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde gegen das Konzept des Stolperstein-Projekts kämpft. In der bayerischen Metropole sind die Steine nur auf privaten Grundstücken zu finden. Das Argument der Gegner lautet unter anderem, dass die Namen ermordeter Menschen mit Füßen getreten werden. Auch in Paris, das von den Deutschen besetzt war, sind die Steine von der Stadtverwaltung nicht erwünscht. Im Gegensatz zu anderen französischen Städten hält die Hauptstadt diese Form des Gedenkens, angelehnt an die Haltung der lokalen Shoah-Gedenkstätte, für unangemessen. Doch Laurie Schulman, die sich im Verein Stolpersteine en France engagiert, drückt es wie folgt aus: “Die Opfer gelangen so zurück in den öffentlichen Raum, dahin wo sie gelebt haben, nicht auf eine Liste, nicht an einen isolierten Ort. Sondern sie werden sichtbar für alle Menschen in der Nachbarschaft.”

Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist

So steht es im Talmud und ist das Lebensmotto von Gunter Demnig. Neben den Namen der Opfer werden, soweit bekannt, ihre Geburts- und Todestage sowie weitere Informationen zu ihrem Schicksal in das Metall der Stolpersteine gehämmert. Auch diese Arbeit erledigte bis Anfang der 2000er-Jahre Gunter Demnig neben den immer häufigeren Terminen für die Verlegung der Steine. Noch heute erfüllt der 1943 in Berlin geborene Künstler diese Aufgabe des Einlassens der Steine bis auf seltene Ausnahmen selbst. Aber die auch Stempeln genannte Kunst des Einbringens der Buchstaben und Zahlen in die Metallplatten übernimmt seit 2005, das Jahr in dem Demnig mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, der Bildhauer Michael Friedrichs-Friedlaender in seiner Werkstatt auf dem Künstlerhof in Berlin-Buch. Das ehemalige Stadtgut direkt am Schlosspark, durch den die Panke fließt, beherbergt mehrere Werkstätten und Ateliers. Inzwischen ist er allerdings innerhalb des Bezirks Pankow nach Französisch Buchholz umgezogen.

Für maximal zehn Zeilen ist Platz auf den 10x10 Zentimeter großen Messingplatten. Von der Mitte ausgehend arbeitet Friedrichs-Friedlaender mit Hilfe von Hammer und Metallstiften mit den einzelnen Buchstaben und Ziffern die von Gunter Demnig in Zusammenarbeit mit den Initiativen und Paten der Stolpersteine erarbeiteten Wörter und Zahlen der Beschriftung ein, in mehr als 20 verschiedenen Sprachen und einmal auch in Brailleschrift. Bis zu zwanzig dieser Arbeiten fertigt er an einem Tag. Die Geschichten hinter den Namen und Zahlen beschäftigen ihn deutlich länger, wie er in einem Interview sagt.

Jede & jeder kann sich im Projekt Stolpersteine engagieren

Neben der Abnutzung und Verschmutzung, der die Stolpersteine durch ihre Lage auf den Bürgersteigen ausgesetzt sind, werden sie manchmal mutwillig beschmiert oder sogar entwendet. Nicht nur an besonderen Terminen wie dem Holocaust-Gedenktag im Januar oder dem 9. November, an dem der Reichspogromnacht gedacht wird, pflegen Einzelpersonen, Schulklassen, Vereine und andere die Metallplatten, befreien sie von Schmutz, lassen sie wieder glänzen als Zeichen der Ehrung für die Menschen hinter den Namen und Daten. 

Aber auch durch Mithilfe bei der Recherche zu Biografien, Kommunikation mit Angehörigen von NS-Opfern, Übersetzungsarbeiten und im Bereich Öffentlichkeitsarbeit kann man sich in den lokalen Initiativen der Berliner Bezirksgruppen von Stolpersteine in Berlin einbringen oder eine Patenschaft und Spende für einen Stolperstein übernehmen.

Stolpersteine für Menschen ohne Wohnadresse

Zurück zu den Steinen auf dem Alexanderplatz mit den Namen von Otto Bülow, Joachim Ebel, Paul Kobelt, Willi Kochannek und Karl Otto Mielke. Sie waren Obdachlose. Daher galten sie unter den Nationalsozialisten als “arbeitsscheu” und “asozial”, wurden gedemütigt, verfolgt und im Konzentrationslager Sachsenhausen ermordet. Verlegt wurden die Stolpersteine für sie am ehemaligen Standort der Gaststätte Aschinger, die wegen ihres günstigen Essens ein häufiger Aufenthaltsort für Wohnungslose war.