Skulpturenboulevard Kurfürstendamm & Tauentzien

Es sollte alles so schön werden. Das war der Plan mit der Eröffnung des Skulpturenboulevards als Auftakt zur 750-Jahr-Feier von Berlin Ende April 1987. Berlin-West, um genau zu sein, denn die Stadt war 1987 noch geteilt. Östlich des Brandenburger Tors wurde das Nikolaiviertel fürs Jubiläum historisierend aufgehübscht. Im Westen dagegen sollten die Einwohner und Besucher Berlins mit einem dezentral gestalteten modernen Kunstgenuss auf den schicken Flanier- & Shoppingmeilen Tauentzienstraße & Kurfürstendamm zwischen Wittenbergplatz und dem gut 4 Kilometer entfernt liegenden Rathenauplatz erfreut werden.

Sieben Skulpturen & Installationen entstanden entlang der Strecke

Die Aufstellung war zeitlich auf ein knappes Jahr befristet anlässlich der Feierlichkeiten zum Stadtjubiläum und dem sich anschließenden Jahr als Kulturhauptstadt. Ein Titel, der von der Europäischen Union vergeben wird und daher nur für Berlin-West galt. Zuständig für die Auswahl und Durchführung war der Neue Berliner Kunstverein (NBK), beauftragt von Kultursenatur Volker Hassemer (CDU), der sich sicherlich nicht hatte träumen lassen, welchen Aufruhr dieses Projekt der öffentlichen Zurschaustellung abstrakter Monumentalplastiken nach sich ziehen würde. Dabei hatte er doch so gehofft, dass genug Toleranz vorhanden sei  für diese “Herausforderung an die kulturelle Offenheit der Berliner”, doch es kam anders. “Auf solche Abenteuer waren wir nicht gefasst“, erzählt die damalige NBK-Direktorin Lucie Schauer. Es wurde die “vielleicht größte öffentliche Diskussion um die Kunst der Moderne nach 1945“ laut Professor Bazon Brock. Geplant waren mehr als sieben Kunstwerke. Das Honorar der Künstler betrug jeweils 50.000 D-Mark. Doch leider wurden zwei Projekte des Künstlerpaars Edward & Nancy Redding Kienholz nicht realisiert. Eines davon wäre sicherlich mein Favorit gewesen, dazu später mehr. Obwohl alles nur temporär sein sollte, sind fünf der Ausstellungsstücke weiterhin öffentlich zu besichtigen. Drei davon an ihren ursprünglichen Standorten.

Zeitreise ins Jahr des Skulpturenboulevards

Versetzen wir uns nun einmal ins Frühjahr 1987 zurück und fahren von Grunewald kommend auf den Rathenauplatz zu. Sicherlich ist Stau und wir haben genügend Zeit zur Betrachtung von Wolf Vostells Auto-Beton-Skulptur. Der vollständige Name lautet wortreich Zwei Beton-Cadillacs in Form der nackten Maja. Sehr wahrscheinlich wird uns ein Flugblatt der gegen das Kunstwerk auf die Barrikaden gegangenen Bürgerinitiative durchs Fenster gereicht. Vielleicht sind wir aber auch so klug und zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs. Da könnten wir im Juli des Jahres das Glück haben und auf dem Seitenstreifen den pfiffigen Gegenprotest einer anonym gebliebenen Stammtischrunde entdecken: Einen Trabi in einer Betonpyramide mit dem Hinweis “Einigkeit und Recht auf künstlerische Freiheit”. Aber immerhin ist das ein deutsches Auto. Denn “so ‘ne Karre und dann nicht mal ‘ne deutsche!”, das ist  einer der gemäßigteren Ausrufe, die Vostell entgegen schleudert werden. Sein Ziel, den "24-stündigen Tanz der Autofahrer ums Goldene Kalb", den in ihren Kisten sitzenden Menschen vor Augen zu führen, ist ganz offensichtlich gelungen.

Der Puls senkt sich auf der Strecke bis zu  Rolf Szymanskis 2-teiligem Werk GroßeFrauenFigurBerlin an der Ecke Kurfürstendamm & Albrecht-Achilles-Straße. An ihr erhitzen sich die Gemüter wenig. Heute steht eine der Figuren samt Gedenktafel für den Künstler an der Budapester Straße 35 im angrenzenden Ortsteil Tiergarten.

Aber schon an der Ecke Wielandstraße steigt der Blutdruck wieder leicht an. Großer Schatten mit Sockel von Frank Dornseif erschließt sich nicht so einfach. “Es werden sicher nicht alle mögen”, ahnte der Künstler bereits. “Dass nicht alle alles gleich mögen”, sei völlig normal. Allerdings wurde sein Werk auch gleich nach dem offiziellen Ende der Jubiläumsfeierlichkeiten wieder abgebaut. 

Bei Josef Erbens luftiger Pyramide aus Stahlrohren & -seilen an der Ecke Bleibtreustraße klopft ebenfalls das Herz leichter. Man ist ihr sogar so zugetan, dass sie bis heute dort zu sehen ist. Anliegende Händler haben das Kunstobjekt gemeinsam erworben.

Doch um Olaf Metzels Randaledenkmal tobt der Sturm der Entrüstung bereits seit einigen Wochen. An der Straßenkreuzung Kurfürstendamm & Joachimsthaler Straße hat der Künstler eine hochgetürmte Installation aus von mit einem Einkaufswagen gekrönten ineinander verkeilten und mit Pflastersteinen bestückten Absperrgittern erstellt. Als Erinnerung an Ausschreitungen auf dem Kurfürstendamm am 13. April 1981 aufgrund einer Falschmeldung der Springer-Presse über den angeblichen Tod des hungerstreikenden mutmaßlichen RAF-Terroristen Debus und Zeichen des Widerstands gegen die Konsumgesellschaft. Und das ausgerechnet gegenüber vom Kranzler. Immerhin passen die Farben der Absperrgitter zur hübsch rot-weiß-gestreiften Markise des Traditionscafés. Zunächst werden diese unter einer Autobahnbrücke am Berliner Stadtring versteckt, dann nahe der Oberbaumbrücke aufgestellt, heute sind sie auf dem EUREF-Campus in Schöneberg zu sehen.

George Rickeys kinetische, sich durch jeden Windhauch verändernde, Stahlskulptur Two Lines Excentric Jointed With Six Angels am Breitscheidplatz entzückt die Daimler Art Collection sehr und ist nun in ihrem Besitz. Kunst und Automobilindustrie können sich also doch vertragen.

Und mit Berlin vom Künstlerpaar Matschinsky-Denninghoff auf dem Mittelstreifen der Tauentzienstraße kurz vorm Wittenbergplatz haben sich die Berliner auch angefreundet. Die 8-Meter hohen verschlungenen Röhren sollen den zerrissenen Bund der geteilten Stadt symbolisieren, ähneln Spaghetti oder auch Würstchen und stören nicht weiter. 

”Wetten, dass…?” das nicht klug war

Doch selbst der als humorig bekannte Schriftsteller und Satiriker Ephraim Kishon ist 1987 erzürnt und Kopf der gegen den Skulpturenboulevard agierenden Bürgerinitiative, die ganzseitige Streitschriften in der Tagespresse drucken lässt. Empörte Bürger versuchen sich an sonst eher verpönten Formen des Protests wie Demonstrationen & Menschenketten. Der Bund der Steuerzahler ist einer der Wortführer. Der Rundfunksender RIAS ermittelt, dass ein gutes Dreiviertel der Bevölkerung die “greulichen Mißbildungen”, den “Schrott & Müll” ablehnt. Während einer Telefonumfrage der Berliner Abendschau vom Sender Freies Berlin legt die rege Teilnahme das Notrufnetz der Stadt lahm, da auch die Studio-Nummer mit der Ziffer “1” beginnt. Über 20 Minuten kann keine Vermittlung von Krankentransporten geleistet werden, berichtet ein Mitarbeiter in einem Fernsehinterview. Doch den größten Einfluss auf die Meinungsbildung noch während des Aufbaus der Kunstmeile hat sicherlich der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen bei seinem Auftritt in der ZDF-Sendung “Wetten, dass…?” Anfang April 1987 mit Frank Elstner. Bei der Live-Sendung vor einem riesigen Publikum sowohl in der Berliner Deutschlandhalle als auch vor den Fernsehgeräten sagt er: “Solange ich hier Verantwortung habe, wird es keinen Skulpturenboulevard am Kurfürstendamm mehr geben!”. Tosenden Applaus erntet er dafür. Ob er sich und der Stadt damit einen Gefallen tut?

Kunst Interruptus

Am Adenauerplatz ist für die Dauer von einer Woche The Dumb Dumm Duel -Performance vom Künstlerpaar Nancy Reddin-Kienholz & Ed Kienholz geplant. Zwei jeweils an schwarz-rot-gold-farbenen Kränen befestigte & aufgeblasene Riesenkondome sollen von den mit entsprechenden “Waffen” ausgestatteten Kranführern zum Platzen gebracht werden. Dieser Anblick würde Erich Honecker sicherlich nicht erfreuen. Und der soll doch zu Besuch kommen. Das ist zumindest bis zum 13. April 1987 der Plan. An dem Tag sagt er seine Teilnahme am Festakt in Berlin-West ab. Er ist verärgert über einen Brief von Eberhard Diepgen. Die Künstler haben ihr Werk bereits zurückgezogen. Angeblich ganz freiwillig.