Preußischer Landtag | Sitz des Abgeordnetenhauses von Berlin
Eine EU-Norm für Gästeführer? So was gibt’s. Die EU-Norm DIN EN 15565.
Weil ich im Rahmen des Lehrgangs auf dem Weg zum Zertifikat auch Recherchetexte schreiben darf, teile ich sie hier mit euch. Manchmal geht es um Gebäude und Ecken, denen ich sonst nicht so viel Aufmerksamkeit schenke. Aber spannende Geschichten sind überall versteckt.
Wir stehen vor dem Berliner Abgeordnetenhaus…
…dem Gebäude des ehemaligen Preußischen Landtages. Hinter uns liegt der für Ausstellungen genutzte Martin-Gropius-Bau. Ein Stück weiter rechts sehen wir das Gebäude des ehemaligen Reichsluftfahrtministeriums, heute das Bundesministerium für Finanzen. Im Hintergrund links ragen die Türme am Potsdamer Platz in den Himmel.
Der Martin-Gropius-Bau steht bereits, als Architekt Friedrich Schulze ab 1892 das sogenannte Volkshaus für den Preußischen Landtag baut. Passend zur bürgerlichen zweiten Kammer der Abgeordneten des Landtages wird es im eher zurückhaltenden Stil der Neorenaissance gestaltet und 1899 eröffnet. Für das anschließend ebenfalls von Schulze auf der Rückseite, zur Leipziger Straße hin, errichtete Gebäude des Herrenhauses, fällt die Wahl auf pompösen Neobarock. Die Innenausstattung des Volkshauses ist dennoch reichhaltig mit einem verzierten Glasdach, Stuck, Holzschnitzkunst, Wand- und Deckenmalereien und bildhauerischen Arbeiten gestaltet.
Gründung der KPD zum Jahreswechsel 1918/19
Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges wird die Monarchie abgeschafft und die Kammern umbenannt. Von nun an Tagungsort des Preußischen Landtages hat die entsprechende Benennung des Gebäudes bis heute geprägt. Der Weg in Richtung parlamentarische Demokratie soll hier gelegt werden. Im Plenarsaal werden unter anderem das geheime Wahlrecht und das Frauenwahlrecht beschlossen. Aber es gibt Widerstand. Im Festsaal des Hauses tagen zum Jahreswechsel 1918/19 Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und andere Mitglieder von Spartakusbund und politisch links stehenden Gruppierungen und gründen die Kommunistische Partei Deutschlands.
Schon gut zehn Jahre später ist die Weimarer Republik Geschichte
Im Mai 1933 findet die letzte Sitzung des Preußischen Landtages im Plenarsaal statt. Der Festsaal wird nun für Sitzungen der NSDAP genutzt. Statt Schauplatz demokratischer Beschlüsse zu sein, wird im ehemaligen Plenarsaal von den Nationalsozialisten der Volksgerichtshof gegründet. Auch Todesurteile werden hier im Schnellverfahren gefällt. Im Jahr 1935 wird das rechts vom Preußischen Landtag liegende Reichsluftfahrtministerium fertiggestellt. Hermann Göring übernimmt als Reichsminister der Luftfahrt zusätzlich das Landtagsgebäude und wandelt es in das Haus des Fliegers um. Der ehemalige Plenarsaal und damit kurzzeitige Sitz des Volksgerichtshofs wird zum Ballsaal für bis zu 3000 feiernde Gäste. Wo sich im Festsaal die KPD gründete, nimmt Göring seine Hochzeitsgeschenke entgegen. Der ehemals weitläufige Raum des Kasinos und Speisesaals wird unterteilt und vom Fliegerverein Aero-Club genutzt. Viele der ursprünglichen Verzierungen der Inneneinrichtung werden entfernt und dem herrschenden Geschmack angepasst.
”Mauerblümchen” & Abhörtürme
Gegen Kriegsende wird das Gebäude stark zerstört. Es ist aber noch nutzbar. Doch bald steht es - vom Westteil der Stadt aus gesehen - in einem anderen Land. Wenn wir hier auf den Boden schauen, können wir den ehemaligen Verlauf der Berliner Mauer anhand des in die Straße eingelassenen Metallstreifens erkennen. Beim Blick nach rechts ist noch ein Stück Mauer zu sehen. Ab Sommer 1945 liegt der Preußische Landtag im sowjetischen Sektor von Berlin und wird von dessen Militäradministration, die auch den Befehl für die Instandsetzungsarbeiten gibt, als Verwaltungsgebäude genutzt. Nach Gründung der DDR im Oktober 1949 zieht die Regierung unter Otto Grotewohl für wenige Jahre ein. In der Zeit verändert sich äußerlich wenig, das Glas der Kuppel vom Plenarsaal wird ersetzt, weitere behelfsmäßige Arbeiten ausgeführt.
Nach dem Umzug des Ministerrats in das Alte Stadthaus, das bis 1990 dessen Sitz bleibt, wird das Gebäude unter dem Namen Haus der Ministerien II ein Ableger des Hauses der Ministerien im ehemaligen Reichsluftfahrtministerium. Die Staatliche Plankommission zieht in den Festsaal ein und löst Umbauten aus, die letzte historische Verzierungen verschwinden lassen. Außerdem wird die Decke abgehängt und neuer Fußboden verlegt. Ähnliches Schicksal ereilt das Kasino, wo nun unter einer niedrigen Decke aus im Schachbrettmuster verlegten Strukturplatten Sitzungen abgehalten werden. Besonders stark trifft es den Plenarsaal, dessen Marmor für Umbauarbeiten im Haus der Ministerien, entnommen wird. Wenn schon, denn schon, denkt sich offenbar die Gesellschaft für Technik und Sport, die anschließend Schießübungen auf die Wände des Plenarsaals ausführen lässt. Schließlich dient der Raum für viele Jahre nur noch als Möbellager.
Ende der 70er-Jahre plant das ZK der SED eine Ausstellung anlässlich des Gründungsjubiläums der KPD. Die Pläne sind skizziert, Arbeiten zur Rekonstruktion der Decke des Festsaals bereits gestartet, dann stoppt die Staatssicherheit das Vorhaben. Wegen der Nähe zur inzwischen gebauten Berliner Mauer sind keine Besucher im Haus gewünscht. Der streng kontrollierte Zugang zum Gebäude ist nur von der Leipziger Straße aus möglich, der frühere Haupteingang - vor dem wir jetzt stehen - liegt im Grenzgebiet direkt an der Hinterlandmauer neben einem Wachturm. Erstaunlicherweise gelingt dennoch 1965 einer dreiköpfigen Familie per Seilwinde die Flucht vom angrenzenden Haus der Ministerien über den Grenzstreifen zum Martin-Gropius-Bau. Die Stasi sitzt bereits seit 1960 mit einer Abhörstation im Gebäude. Noch Ende der 1980er-Jahre werden zwei kastenförmige Abhörtürme auf dem Dach errichtet.
Kurz danach fällt die Mauer
Schon im August 1990 wird beschlossen, dass der Preußische Landtag neuer Sitz des Abgeordnetenhauses der Stadt werden soll. Aber erst müssen die Besitzverhältnisse geklärt werden: Die Stadt Berlin erhält den Preußischen Landtag. Der Bund bekommt das ehemalige Herrenhaus, in dem heute der Bundesrat sitzt. Es wird erneut umgebaut und die meisten Räume erhalten wieder die Funktion, für die sie ursprünglich gedacht waren. 1993 findet die erste Sitzung im Haus statt, bis zur Fertigstellung dient die Nikolaikirche als Sitzungsort. Im Plenarsaal sind nun Politiker, die nur wenige Jahre zuvor noch im Westen der Stadt im Schöneberger Rathaus oder im Ostteil Berlins im Roten Rathaus saßen, vereint.
Honig von den Dachbewohnern
Dürften wir jetzt hineingehen, könnten wir uns ein wenig umsehen, die Dauerausstellung zur Geschichte des Hauses besuchen und eine Stärkung in der Kantine des Abgeordnetenhauses zu uns nehmen. Außer an Sitzungstagen, die alle zwei Wochen an Donnerstagen stattfinden, ist das jederzeit möglich. Wir könnten uns die Galerie der Ehrenbürger & -bürgerinnen anschauen und die im hinteren Teil des Foyers ausgestellten Gastgeschenke. An der Tür, die noch immer die beiden früheren Kammern verbindet, könnten wir vorbeilaufen. Der Durchgang ist uns allerdings nicht erlaubt. Auch auf das Dach dürfen nur wenige Menschen. Dort leben Bienenvölker, deren Honig als Gastgeschenk dient.
Aber virtuell ist der Besuch auch jetzt möglich, in einem 360-Grad-Rundgang durch das Abgeordnetenhaus. Viel Spaß dabei!