Die Reichstagskuppel & ihr Innenleben
Eine EU-Norm für Gästeführer? So was gibt’s. Die EU-Norm DIN EN 15565.
Weil ich im Rahmen des Lehrgangs auf dem Weg zum Zertifikat auch Recherchetexte schreiben darf, teile ich sie hier mit euch. Manchmal geht es um Gebäude und Ecken, denen ich sonst nicht so viel Aufmerksamkeit schenke. Aber spannende Geschichten sind überall versteckt.
Die Reichstagskuppel - Geschichte, Entwürfe, Technik & Besuchermagnet
Am 13. Juli 2020 verschickte der Deutsche Bundestag eine Pressemitteilung mit dem Titel “Berliner Feuerwehr übt eine Höhenrettung in der Reichstagskuppel”. Wenn man auf der Wiese vor dem Reichstagsgebäude steht und einen Blick auf die Kuppel wirft, dann wirkt sie recht niedrig und nicht unbedingt für eine solche Übung geeignet. Aber der gläserne Bau des britischen Architekten Sir Norman Foster hat es in sich.
Doch kommen wir erst einmal kurz zum Reichstagsgebäude selbst
Der von Architekt Paul Wallot geplante Bau wird 1894 eingeweiht. Bereits damals ist er von einer Kuppel aus Stahl und Glas gekrönt. Sie ist deutlich höher als heute und sogar höher als die des Stadtschlosses, was dem Kaiser gar nicht gefällt, obwohl die kaiserliche Krone auf ihrer Spitze thront. Der Reichstagsbrand 1933 beschädigt die Kuppel stark, es folgen weitere Zerstörungen während des Krieges, schließlich wird sie 1954 gesprengt. Ein Rundfunkreporter berichtet damals: “Nur Sekunden währte diesmal das Aufglühen der Thermitladungen und schon begann sich der Kopfring nach innen abzusenken und mit ohrenbetäubendem Donnern stürzte die 270 Tonnen schwere Kuppel ein.” Das Gebäude selbst, direkt auf westlicher Seite der wenige Jahre später errichteten Berliner Mauer gelegen, wird innen erneuert und für Veranstaltungen und Ausstellungen genutzt. Nach der Wiedervereinigung entscheidet sich die Hauptstadtfrage mit den Worten “Sitz des Deutschen Bundestages ist Berlin” und in Folge die Nutzung des Reichstagsgebäudes als Sitz des Parlaments.
Dafür muss das Reichstagsgebäude umgebaut werden
Ein Wettbewerb wird ausgeschrieben. Als ein wichtiges Planungskriterium legt der Auslobungstext fest: “Im Entwurf soll Transparenz zum Ausdruck kommen, die Bürgernähe und Freude an Kommunikation, Diskussion und Offenheit spüren lässt”. Fosters erster Entwurf punktet wegen der öffentlichen Aussichtsterrasse. Statt einer Kuppel plant er allerdings ein riesiges Glasdach. “Deutschlands größte Tankstelle”, wie die Presse schreibt, erhält zunächst die Zustimmung der Fraktionen, aber es folgen endlose Debatten rund um die Kuppel-Frage. Die Mehrheit der Abgeordneten fordert ihren Bau. Foster missfällt es, sie “nur aus rein symbolischen Gründen” zu errichten und versucht durch hohe Kostenvoranschläge und Hinweis auf eine längere Bauzeit gegenzusteuern. Siebenundzwanzig verschiedene Entwürfe legt er vor. Ganze Bücher füllt der Kampf um die Kuppel. Nach der Einigung im Frühjahr startet der Umbau im Sommer 1995. Kurz nach der Eröffnung im April 1999 erhält Foster das Bundesverdienstkreuz für die von ihm geschaffene Verbindung von Geschichte und einem modernen Regierungsgebäude.
Die Konstruktion der Kuppel auf dem Reichstagsgebäude
Vierundzwanzig Stahlrippen führen senkrecht nach oben, siebzehn horizontale Stahlringe liegen im Abstand von jeweils 1.65 Meter übereinander. Zwei Rampen verlaufen spiralförmig für jeweils den Auf- oder Abstieg, der immerhin 8 %-Steigung hat. Dreitausend Quadratmeter Glasscheiben, das entspricht der Fläche von fast zwölf Tennisplätzen, sind in der Kuppel verbaut. Aus Gründen der Belüftung sind die untersten Reihen und der oberste Punkt der Kuppel offen. Dort kann verbrauchte Luft, per Thermik und durch Düsen aus dem darunter liegenden Plenarsaal geleitet, entweichen. Durch die Öffnung eintretendes Regenwasser wird aufgefangen und verwertet. Das Innere der Kuppel durchzieht ein trichterförmiges Gebilde, dessen Spitze im Plenarsaal endet.
Und damit sind wir wieder bei dem, was die Kuppel in sich hat:
Diesen Spiegeltrichter - auch Lichtumlenkelement genannt, was mich etwas zu sehr an die Winkelemente der DDR erinnert - und sein Innenleben. Er enthält nämlich die ausgeklügelte Technik für die Belüftung und Beleuchtung des Hauses, die den hohen ökologischen Anspruch des Umbaus erfüllt. Die außen angebrachten Spiegel, insgesamt sind es 360 Stück, lenken das in die Kuppel einfallende Tageslicht in den zehn Meter tiefer gelegenen Plenarsaal. Angeblich ist nur an sehr trüben Tagen zusätzliches Kunstlicht für die Beleuchtung nötig. Damit es aber auch nicht zu hell und heiß wird, sorgt ein computergesteuertes Abblendsystem dafür, dass bei Bedarf Aluminiumlamellen entsprechend positioniert werden und Schatten spenden.
Im Trichter steckt also über mehrere Etagen die gesamte Haustechnik, die natürlich auch gewartet werden muss. Seit gut zwanzig Jahren klettern Handwerker dafür per Steigleiter in den engen Schacht. Zum Glück ist das bisher immer gut gegangen. Dieses Jahr wurden die Sommerpause und insgesamt ruhigere Zeit ohne Besuchergruppen genutzt, um die Höhenrettungsexperten der Berliner Feuerwehr eine Bergung üben zu lassen. “Das war ein spannender Einsatz” zitiert die Berliner Woche den Chef der Truppe. Den “Verletzten” auf einer Trage aus dem engen Schacht zu ziehen, ist gar nicht so einfach und dauert immerhin 25 Minuten. Sogar dem Magazin Südtirol News ist diese simulierte Rettung eine Meldung wert.
Wer die Kuppel besuchen möchte, muss momentan sehr viel Geduld haben
Denn leider ist sie bis auf Weiteres geschlossen. Aber hoffentlich werden bald wieder die bis zu 3 Millionen Besucher, die normalerweise pro Jahr in den zwei Fahrstühlen zur Dachterrasse transportiert werden, den Ausblick genießen können. Eine Anmeldung per Online-Formular, Fax oder Post ist nötig und der Zutritt nur nach Passieren der Sicherheitskontrolle möglich. Ebenso empfiehlt sich eine Reservierung für einen eventuell geplanten Besuch im Restaurant Käfer auf der Dachterrasse, um Wartezeiten zu vermeiden.
Inwieweit die gläserne Kuppel nun tatsächlich zur Transparenz der Arbeit im Parlament beiträgt, kann man bei einem Besuch dort selbst entscheiden. Vielleicht hat man auch eher Spaß daran, der Regierung mal “aufs Dach steigen zu können”. Oder die Dauerausstellung Vom Reichstag zum Bundestag zur Geschichte des Hauses zu besuchen.
Was ich mich frage und nirgendwo beantwortet finde: Wie wird das Thema Vogelschlag bei so viel gläserner Fläche vermieden?