Müggelheim | Kuhle Wampe, Seddinsee, Alt-Müggelheim
Ich nähere mich Müggelheim vom Wasser. Passend zum Ortsteil im äußersten Südosten von Berlin, dessen südliche Grenze sich an den Ufern von Langer See, Große Krampe und Seddinsee, durch die der Fluss Dahme strömt, befindet. Im Norden stößt er an den Kleinen Müggelsee und die Müggelspree, außerdem wird er von weiteren Gewässern durchzogen. Nur der Große Müggelsee, der gehört nicht zu Müggelheim, sondern ist hier Teil des Nachbarn Köpenick und im Norden von Rahnsdorf und Friedrichshagen.
Kuhle Wampe - Der Zeltplatz früher & heute
Dennoch zieht es mich nach meiner Ankunft mit der Fähre am Zeltplatz Kuhle Wampe erst einmal dorthin. Denn der idyllisch gelegene Ort trägt zwar den Namen des Arbeiterzeltplatzes, aber der lag Anfang der 1900er-Jahre ein Stück weiter nordwestlich. Heute erinnert nur noch eine Gedenktafel am Uferweg an die gut zwanzig Jahre, in denen hier Menschen aus einfachen Verhältnissen Erholung und Abstand fanden von ihren engen Wohnungen, ihren Lebensumständen und der mühsamen Arbeit in den Industriebetrieben, sofern sie welche hatten. Der gleichnamige Film, an dem Bertolt Brecht mitwirkte, wurde zensiert und später verboten. Gedreht wurde allerdings nicht am Müggelsee. Der Zeltplatz wurde 1935 von den Nationalsozialisten aufgelöst.
Der heutige Zeltplatz Kuhle Wampe am Ufer der Großen Krampe ist von Hausbooten gesäumt. Die Frau des Platzwartes empfängt mich sehr freundlich und lässt mich ins Dachgeschoss der historischen Fischerhütte, auch Grottewitz-Hütte genannt, einziehen. Bereits 1920 wurden zwei der noch erhaltenen Häuschen als Wanderschutzhütten genutzt. Sie erzählt vom Verein, der den Zeltplatz gepachtet hat. Den alten Standort am Seddinsee mussten sie vor 30 Jahren verlassen, da dort Gewässersanierungsarbeiten stattfanden. Bis zur Wende tummelten sich Pioniere und andere Gäste der DDR-Jugendorganisation FDJ auf dem Gelände und auch Intercamping war erlaubt. Ein mir völlig neuer Begriff. Intershops kenne ich von der Transitstrecke, aber wusste bisher nicht, dass das Zelten für Westdeutsche und andere Besucher aus dem “kapitalistischen Ausland” in der DDR offiziell möglich war. Meistens wurde den devisenbringenden Gästen ein eigener Bereich als Stellplatz zugewiesen, aber Kontakt zu anderen Campern war unvermeidlich und wurde entsprechend überwacht.
Von See zu See - Kleiner Müggelsee, Krumme Laake, Seddinsee, Große Krampe
Wieder zurück auf Müggelheimer Gebiet mache ich einen kurzen Stopp für ein Softeis am Kleinen Müggelsee und schaue bei der Badestelle vorbei. Aber dort ist mir zuviel Gewusel, die Fähre zieht vorbei, Häuser am gegenüberliegenden Ufer. Ich weiß, dass noch einige einsame Badebuchten auf meinem Weg liegen. Zunächst biege ich aber auf die Straße Zur Fähre ein. Hier wechseln sich schicke Neubauten mit verlassenen Häusern ab, vor denen quietschbunte Schilder die kommenden Veränderungen ankündigen. Durch einen der noch dicht bewachsenen Gärten flattert ein Grünspecht. Am Ende der Straße liegt der Steg der BVG-Paddelfähre Paule III. Nur an Wochenenden rudert der Fährmann hinüber nach Rahnsdorf und zurück. Heute liegt Paule an der anderen Uferseite.
Aus dem Wohngebiet heraus geht es über gut befahrbare Waldwege zur Krummen Laake. Hinter den Kiefern blitzt es plötzlich blau, ich holpere mit dem Rad den hügeligen Weg ans Wasser und bin dort, bis auf ein paar Libellen, ganz alleine. Der See mit den angrenzenden Moorgebieten liegt abgelegen, ist mit dem Auto schlecht zu erreichen. Unter der Woche finden nur wenige Menschen hierhin. Nur ein Hund bellt ein Stückchen entfernt. Das Gebiet steht schon seit fast 100 Jahren unter Naturschutz, deshalb darf hier leider nicht gebadet werden.
Deshalb geht es am Gosener Kanal entlang zum Seddinsee. An seinem nördlichen Rand liegt Berlins größtes Naturschutzgebiet, die Gosener Wiesen. In dem vielfältigen Bereich aus Trockenwiesen und sumpfigen Gebieten, durchflossen von alten Ausläufern der Spree, finden sich viele seltene Pflanzen und Tierarten. Aus Schutzgründen ist es nur an wenigen Stellen zu begehen. Genauso sieht es mit dem angrenzenden Vogelschutzgebiet aus. Aber die Informationstafel bringt mich auf eine Idee: Ich wollte schon immer einmal Kajak fahren.
Erstmal geht es aber ein Stück weiter südlich zum Abkühlen in den Seddinsee und weiter mit dem Fahrrad, das ich teilweise über die von Bibern gefällten Bäume tragen muss. An kleinen Buchten liegen Motorboote, die leider viel zu häufig lärmend über das Wasser düsen, nicht nur tuckern. Plötzlich öffnet sich der Wald zu einer Lichtung über der Mauersegler kreisen. Mauersegler, hier? Vielleicht brüten sie in irgendeiner alten Ruine auf dieser Halbinsel? In ihrer Mitte liegt ein verlassener Flughafen.
Ich bleibe am Ufer, rolle an der Kleinen Krampe vorbei, ein Ruheplatz für Wasservögel. Die Ufer sind schlammig, da gibt es keine störenden menschlichen Badegäste. Am Ufer der Großen Krampe in Richtung Müggelheim dagegen liegen Boote in manchen der Buchten, ein Hund stürmt mir auf dem schmalen Weg entgegen, um sein Revier zu verteidigen. Ich sammel ein paar Flaschen und Chipstüten ein, die am Weg liegen gelassen wurden. Kurz vorm Dorfanger von Müggelheim werde ich sie wieder los.
Der Ortskern von Müggelheim
Dort wird der Verkehr, der sich durch den alten Kern des Ortsteils zieht, ein wenig abgebremst. Es ist viel los auf der Strecke zwischen Köpenick und Gosen, den Supermärkten am anderen Ende von Müggelheim und dem Einkaufszentrum Müggelpark in Brandenburg. Die Tempo 30-Zone umschlingt die kleine Dorfkirche, das alte Schulgebäude und einen schön gestalteten Neubau, den der Heimatverein als Museum eingerichtet hat. In einem Außenbereich an der Schule sind Arbeitsgeräte aus der Zeit der Pfälzer Familien zu sehen, die sich hier Mitte des 18. Jahrhunderts ansiedelten. So richtig gut leben ließ es sich offenbar nicht von der Landwirtschaft auf den kargen Böden. Nur 186 Müggelheimer wurden 1920 nach Groß-Berlin eingemeindet. Diese Zahl stieg in den folgenden Jahren rasant an. In den teilweise durchnummerierten & -buchstabierten Seitenstraßen und den hügeligen Wegen zur Großen Krampe hin ist die Mischung aus Villen der Vorkriegszeit, bescheidenen Häusern der Nachkriegszeit und aktuellen Neubauten zu erkennen. Vor der kleinen Filiale der Sparkasse erinnern zwei Stolpersteine an Frau und Tochter des ehemaligen Bäckermeisters Milke. Es sind die beiden einzigen bisher in Müggelheim verlegten Steine. An der nächsten Ecke steht das Gebäude des Gasthauses Müggelheim, in dem eine Zeitlang Curt Grottewitz lebte. Moment, Grottewitz nennt sich doch auch meine Schlafhütte!
Schon um die Jahrhundertwende schrieb der Germanist und Naturwissenschaftler über Nachhaltigkeit, ökologisches Verständnis und Handeln. Seine Bücher mit Titeln wie Sonntage eines grossstädtischen Arbeiters in der Natur waren Bestseller innerhalb der naturfreundlichen Arbeiter- und Wanderbewegung. Seinen ursprünglichen Nachnamen Pfütze änderte er in den Künstlernamen Grottewitz, Name seines Heimatortes. Tragischerweise ertrank er beim Schwimmen in der Großen Krampe.
Den Sonnenuntergang genieße ich heute - nach einem sehr guten Burger in der von einem USA-begeisterten Paar gestalteten Down Town Garage von Müggelheim - mit Blick auf den Langen See, nur einen kleinen Spaziergang um die Spitze der Halbinsel herum. Morgen werde ich mir die dort liegende Krampenburg genauer anschauen.