Schmöckwitz | Karolinenhof & Rauchfangswerder

Die Fähre trägt mich von Müggelheim nach Schmöckwitz übers Wasser.

Heute geht es zum südlichsten Punkt Berlins.

Aber zunächst biege ich auf einen kleinen Pfad in Richtung Karolinenhof ein. Der Landwirt, der Ende des 18. Jahrhunderts auf Pachtland seinen Hof gründete, gab ihm den Namen seiner Frau. Einhundert Jahre später legte der Bankier Schappach, der immerhin mit einer Straße verewigt ist, hier eine Villenkolonie an. Wegen der guten Anbindung an die Schmöckwitz-Grünauer Uferbahn, heute die Tramlinie 68, etablierten sich Ausflugslokale und Wassersportvereine. Merkwürdig verschlafen wirkt Karolinenhof an diesem Vormittag mitten in der Woche. Ich fahre an einer Mischung von Häusern mit Kratzputzfassaden und schicken Neubauten vorbei, dazwischen liegen wenige Gebäude aus der Zeit des Bankiers. Seine ehemals prächtige Villa wird gerade renoviert und trägt eine Tafel mit der aufmunternden Beschriftung “Bist bald wieder gesund, altes Haus”.

Ich bekomme Hunger. Einen Bäcker scheint es in Karolinenhof nicht zu geben.

Also rüber auf Berlins längste Straße Adlergestell und einen kurzen Fotostopp an der verlassenen Reifenfabrik. Ein Großbrand auf dem Gelände verschlug 2005 nicht nur der direkten Umgebung den Atem. Zusätzlicher Löschschaum musste sogar aus Hamburg und anderen Bundesländern gebracht werden, um das Feuer eindämmen zu können. Bei einer Zwangsversteigerung vor ein paar Jahren konnte das Land Berlin zuschlagen. Das ehemalige Gewerbegebiet wird nun renaturiert. Sicher ein mühsamer Weg, da der Boden an vielen Stellen kontaminiert ist und besondere Pflege benötigt. Ebenso beschwerlich kämpfen sich die Bäume durch den Zaun. Eigentlich war nicht geplant, hier sechs Jahrzehnte lang zu produzieren, als 1944 gegründet wurde: Die Wehrmacht benötigte LKW-Reifen. Die Sowjetarmee nach dem Krieg auch. 

Beim Bäcker teilen die Verkäuferin und ich unsere Kindheitserinnerungen zum Thema Kopfrechnen. Sie freut sich, dass ihre Kundin besser rechnet als sie und ich erzähle von der Methode, dass die ganze Klasse aufstehen musste und sich immer nur setzen durfte, wer die richtige Lösung der Aufgabe zuerst wusste. Bei ihr war es allerdings verschärft: Sie mussten laufen und durften nicht anhalten, bis sie eine der Aufgaben schnell genug gelöst hatten.

Mit einer Schrippe in der Hand suche ich mir ein Plätzchen am Dorfanger von Alt-Schmöckwitz.

Nicht weit von mir sitzt ein Arbeiter in orangener Kluft. Er bewacht eine frisch ausgebesserte Stelle im Asphalt und rückt alle zwanzig Minuten die Hütchen, wenn die Tram ihre Runde von der Endhaltestelle zur Einstiegsstelle in Richtung Köpenick dreht.

Vor der Kirche des ehemaligen Imker- und Fischerdorfes, das im 14. Jahrhundert urkundlich erwähnt wird, aber dessen Grund schon in der Steinzeit besiedelt war, erinnert eine Bronzetafel an die Menschen aus Schmöckwitz und Karolinenhof, die in den letzten Kriegstagen 1945 umkamen oder sich das Leben nahmen. 

Ich rolle über eine Brücke und auf die sandigen Wege der Halbinsel Rauchfangswerder.

An einem Campingplatz vorbei geht es in Richtung Ufer des Zeuthener Sees. Landwirte und Fischer aus Zeuthen waren es auch, die sich - lange nach den ersten Siedlungen vor tausenden von Jahren - auf Land, das ihnen von Friedrich dem Großen zugesprochen wurde, ansiedelten. Nach und nach zog es immer mehr Menschen hierher, um 1900 waren schon die ersten Wohnhäuser gebaut. Die schöne Lage und Gasthäuser brachten sogar per Dampfer Erholungs- und Vergnügungssuchende nach Rauchfangswerder. Bereits vorher gab es einfache Fährverbindungen per Paddelboot über die Gewässer. An der Fährallee sind noch schöne Villen zu finden, manche leider offenbar verlassen.

Ein moderneres Gebäude ist das ehemalige Erholungsheim aus DDR-Zeiten, erst für Forstarbeiter gegründet, dann vom FDGB, Freier Deutscher Gewerkschaftsbund, übernommen. In neuerer Zeit fanden dort vor allem studentische Austauschprogramme der japanischen Universität Teikyo und der GLS-Sprachenschule im Prenzlauer Berg statt. Ein Dingi mit dem Namen der Uni liegt noch am Steg, ein Stück weiter der Rumpf eines riesigen Katamarans. Seit diesem Jahr hat das Areal einen neuen Eigentümer, der es gerade modernisieren lässt, um es als nachhaltige und soziale Einrichtung vor allem Kindern und Jugendlichen zur Verfügung zu stellen. Ich umrunde die Spitze der Insel, die überwiegend mit Einfamilienhäusern bebaut ist und springe endlich nahe dem südlichsten Punkt Berlins ins Wasser. Eine Markierung wie beim Mittelpunkt Brandenburgs, der ebenfalls in einem See liegt, finde ich hier nicht. Ich setze mich ans Ufer und suche mir einen Punkt, der passen könnte.

Über die Herkunft der Ortsbezeichnungen Rauchfangswerder & Schmöckwitz

Der Name Rauchfangswerder lässt sich von den Räucheröfen herleiten, in denen der Fang verarbeitet wurde. Ich frage mich, ob nicht auch Schmöckwitz etwas mit dem “Schmöken” zu tun haben könnte. Zumal das “ö” lang gesprochen wird, wie ich in einer Unterhaltung herausfinde. Offenbar soll es aus dem Slawischen kommend, Schlangenort oder Schlangenbach bedeuten und sich auf die von Wasser umschlängelte Gegend beziehen. Eine sehr interessante und ausführliche Abhandlung zu Rauchfangswerder habe ich hier gefunden.

Weiter zum Oder-Spree-Kanal

In Richtung Norden verlasse ich den Werder und seinen Uferweg, an dem die Biber fleißig bauen, und überquere auf einer Fußgängerbrücke den Oder-Spree-Kanal. Wie schön muss die Gaststätte einmal gewesen sein, von der nur noch das Schild und ein kaputter Sonnenschirm am Tor geblieben sind. Am Denkmal für den Kanalbau schaue ich einer unter Motor tuckernden Jacht hinterher in den Kanal hinein und in die andere Richtung auf den Seddinsee. An seinem Ufer entlang rolle ich allmählich nach Brandenburg hinein. In den Gosener Bergen stoße ich auf ein beklemmend wirkendes Gelände hinter verschlossenen Toren und rostigen Stacheldrahtzäunen. Das werde ich demnächst auf einem weiteren Ausflug in diese Ecke ausführlicher erkunden.